
Alle Jahre wieder treffen wir uns, um das Fest der Liebe zu feiern und landen doch wieder in Streit und Enttäuschung. Unsere Eltern sind oft die Menschen, die uns im Leben den größten Schmerz zugefügt haben. Sie haben es mit uns genauso gemacht, wie sie es selbst erfahren haben. Und jetzt ist es nicht leicht, eine Beziehung auf Augenhöhe daraus zu gestalten.
Ich möchte das Verhalten der Eltern nicht entschuldigen. Aber es ist mir wichtig, um Verständnis zu werben für diese Generation, die geprägt war vom Kampf ums Überleben und die so erzogen wurde, dass es die oberste Priorität war, den Willen des Kindes zu brechen. Diese Menschen mussten regelrecht ihre Gefühle abspalten, damit sie das aushalten konnten. Verbunden damit, dass es die oberste Priorität war, keine Schwäche zu zeigen, wurde es auch schwierig, Hilfe anzunehmen, die über das Körperliche hinausgeht. Außerdem hat unsere Gesellschaft bis heute nicht verstanden, wie verletzbar ein Kleinkind ist, wenn das Bedürfnis nach Bindung und Sicherheit nicht ausreichend erfüllt wird.
Vergeben
Jeder Mensch versucht immer sein Bestes zu geben. Du hast dein Bestes gegeben, trotz der Wunden, die dir deine Eltern zugefügt haben. Deine Eltern haben auch ihr Bestes gegeben, trotz der Wunden, die ihnen zugefügt wurden. Unser Bestes ist oftmals nicht genug, um unsere Beziehung harmonisch zu gestalten und deshalb ist es so wichtig, sich in der Kunst der Vergebung zu üben. Sie ist der wahre Schlüssel zur Heilung. Vergebung ist diese Abmachung mit dir selbst, den anderen nicht mehr zu hassen und ihm die Schuld für dein eigenes Unglück zu geben. Denn das hindert dich daran, die Verantwortung für dich selbst zu übernehmen.
Die eigene Wahrheit sprechen
Oft kommt man nie aus der Rolle raus, das Kind zu sein. Man hat eine gewisse Rolle zugeschrieben bekommen. Ich bin zum Beispiel die Widerspenstige. Aber das bin ich heute nicht mehr. Deshalb lass ich mir das auch nicht mehr zuschreiben. Hier dürfen wir ruhig unsere Position vertreten, aber das bitte liebevoll- mit Ich-Botschaften. Gefühle dürfen sein, müssen sein. Nur ist es die Aufgabe unserer Generation, den Kreislauf zu brechen. Wir lassen unsere Gefühle nicht an anderen aus. Wir nehmen sie wahr, verarbeiten sie und kommunizieren im richtigen Moment liebevoll.
Auf das Positive schauen
Das klingt ein wenig platt. Trotzdem möchte ich es unbedingt erwähnen. Ich habe meinen Eltern in den letzten zwei Jahren sehr viele Fragen zu meiner Kindheit gestellt. Und, obwohl ich immer wieder gesagt habe, dass ich ihnen keinen Vorwurf mache, haben sie sich doch manchmal angegriffen gefühlt. Deswegen ist es Zeit, die Dinge zu erwähnen, für die ich dankbar bin.
Meine Mutter hat sich immer um uns drei Kinder gekümmert, ist arbeiten gegangen und hat den Haushalt geschmissen. Mein Kinderzimmer war ganz liebevoll eingerichtet, mit Plüschtieren an der Wand, die in einem selbst genähten Heißluftballon durch die Luft flogen. Sie hat mit uns gespielt, uns Schallplatten mit Märchen gekauft und autogenes Training mit uns gemacht, wenn wir nicht einschlafen konnten.
Mein Vater hat auch mit uns gespielt: Schach, Tischtennis, Gesellschaftsspiele. Er hat mir Fahrrad fahren beigebracht, ganz viele Sachen gebaut (zum Beispiel ein Podest als ich zu klein war zum Tischtennis spielen) und Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen. Als meine Mutter für ein Jahr ins Ausland gegangen ist, hat er sich komplett um mich gekümmert. Er war damals 24!
Das ist natürlich nur ein Auszug, der beispielhaft für viele Jahre Elternzeit steht. In Wirklichkeit merkt man ja erst, was es bedeutet, wenn man selbst in dieser Rolle ist und begreift, dass keiner fehlerlos da durchkommt.
Wofür bist du deinen Eltern dankbar und wie steht es um deine Fähigkeit zu vergeben? Ich wünsche dir ein frohes, besinnliches, von Vergebung und Dankbarkeit geprägtes Weihnachtsfest.